Unsere Wahlen sind als Nullsummenspiel ausgestaltet. Hier gilt, was in guten Verhandlungen tunlichst vermieden werden sollte: Der eine kann nur etwas gewinnnen, wenn andere etwas verlieren. Das ist inbesondere deswegen bemerkenswert, weil der Lösungsraum in der Politik nahezu unendlich ist.
Beim Wahlkampf werben Parteien für die eigenen Ideen - könnte man meinen. Auch Politik professionalisiert sich weiter und das Ergebnis ist, dass wir neue Strategien sehen. Vor einigen Jahren haben wir gesehen, dass die Strategie der asymetrischen Demobilisierung sehr erfolgreich sein kann. Im Kern geht es bei dieser Strategie darum, dass die Wähler der anderen zu Hause bleiben.
In den letzten Jahren erleben wir vermehrt eine Strategie, die eher auf das Hervorheben der Schwächen des politischen Gegners abzielt: das sogenannte "Negative Campaigning".
Negative Campaigning bezeichnet eine Kampagnenstrategie, bei der es primär darum geht, den politischen Gegner zu diskreditieren. Statt sich auf eigene politische Inhalte zu fokussieren und diese zu präsentieren, konzentriert sich der Wahlkampf darauf, das Bild des Gegners zu schwächen. Dazu werden häufig Schwächen, Fehler und unvorteilhafte Aspekte der gegnerischen Kandidaten hervorgehoben. Solche Kampagnen operieren oft auf der emotionalen Ebeneund zielen darauf ab, Zweifel, Skepsis oder sogar Ablehnung beim Wähler hervorzurufen. Negative Kampagnen bedienen sich daher gerne an Karikaturen, provokanten Bildern und plakativen Slogans, die über soziale Medien rasch verbreitet werden. Gerne werden Dinge aus dem Kontext gerissen. Solche Kampangen wurden bei der Wahl 2021 vermehrt eingesetzt.
Negative Campaigning ist effektiv, weil es die Aufmerksamkeit (Stichwort Aufmerksamkeitsökomonie) weckt. Negative Informationen bleiben länger im Gedächtnis und lösen stärkere Reaktionen aus als positive Inhalte. Emotionen wie Angst, Abscheu oder Wut können Menschen stärker beeinflussen als rationale Argumente. Auch der Mechanismus (gerne auch der "Algorithmus") der sozialen Medien spielt eine Rolle, da polarisierende und kontroverse Inhalte eher geteilt und kommentiert werden. Politiker, die sich dieser Taktik bedienen, hoffen somit, das Verhalten der Wähler indirekt zu beeinflussen, indem sie den Gegner in ein schlechtes Licht rücken. Negative Campaigning wird so zur Abkürzung, um das Wählerverhalten zu manipulieren, ohne dass Wähler eine fundierte, inhaltliche Auseinandersetzung mit den Wahlprogrammen vornehmen müssen. Wer hat schon die Zeit oder die Lust sich die Originalquellen anzuschauen?
Es gibt unterschiedliche Muster, die angewandt werden. Selten sind die Inhalte verändert.
In der Regel sind die Inhalte entstellend aus dem Zusammenhang gerissen. Es kann sein, dass ein bestimmtes Bild oder ein Video in einer Art und Weise geschnitten wird, so verschwinden dann Teile des Bilde oder ein einschränkender Zusatz, der direkt nach dem Gesagten kam. Das ist nicht per se neu, denn schon in den 2000ern ging die Wanderausstellung "X für U - Bilder die Lügen" auf Reisen (hier ein paar Beispiele daraus). In einigen Fällen wird auch weggelassen, dass es sich bei dem Gesagten um ein indirektes Zitat gehandelt hat. Manchmal werden auch bestimmte Eigenschaften hervorgehoben, frühere Arbeitgeber oder Skandale reproduziert (die manchmal keine waren). Besonders beliebt ist in letzter Zeit, dass eine Aussage in etwas negatives gedreht wird. Aus "Ich möchte heute keine Nudeln." wird spielend "Er lehnt die italienische Küche ab.".
Diese Beispiele zeigen, wie Negative Campaigning oft auf oberflächliche Eindrücke statt auf inhaltliche Kritik setzt und so die öffentliche Wahrnehmung beeinflusst. Das das alles nicht neu ist und sich Leute schon lange darüber Gedanken machen zeigt eine legendäre Werbung des Guardian.
Spieltheoretisch kann man sich Negative Campaining als eine Option vorstellen, die einem selbst -1 und dem Gegner -10 auszahlt. Die Gesamtpunktzahl sinkt jedoch für beide.
Auch Faktenchecks sind keine Lösung, weil Faktenchecks auch noch mehr Aufmerksamkeit für die Falschausssage bringen (vgl. Werbung für die Wahrheit von Thomas Laschyk). Darüber hinaus besteht bei den empörenden Aussagen oft eine lockere Verbindung zur Wahrheit, so dass den Faktencheckern regelmäßig Parteilichkeit vorgeworfen wird.
Der Vergleich von Wahlprogrammen ist auch keine echte Lösung, weil diese meist so geschrieben sind, dass die Inhalte bei den eigenen Wählergruppen nicht anecken. Der Wahlomat geht in die richtige Richtung. Immer wieder fehlt jedoch die Möglichkeit differenziert antworten oder Nachfragen zu stellen.
Es müsste ein Format sein, dass auf Inhalte abstellt, aber zwingt die Prioriäten zu setzen, die auch in der späteren Parlaments- und Regierungsarbeit die schwerste Aufgabe sind. Ziel eines solchen Formats wäre es, die inhaltliche Auseinandersetzung zu fördern und Wählerinnen und Wähler dazu zu ermutigen, sich mit den politischen Positionen zu beschäftigen, statt von polemischen Kampagnen beeinflussen zu lassen.
Bei den Europawahlen gab eine Einigung von mehreren Parteien zu fairem Wahlkampf. Etwas Ähnliches wurde auch für die vorgezogene Bundestagswahl vorgeschlagen. Gleichzeitig laufen aber bereits Angriffe auf den politischen Gegner. Am Ende kann man sich immer darauf zurückziehen, dass es keine Aktion der Partei, sondern von unabhängigen Gruppen oder Einzelpersonen ist. Auch diese Entwicklung ist in den USA bereits professionalisiert. Dort gibt es sogn. "Political Action Comitees" die unabhängig vom Kandidaten agieren, auch wenn die Unabhängigkeit manchmal angezweifelt wird.
Auf LinkedIn erlebe ich derzeit viele diffamierende Angriffe auf andere Parteien. Vielleicht lese ich auch zu lange an diesen Inhalten, so dass diese mir bevorzugt ausgespielt wird und ich dem "Affen selbst Futter gebe". In einer Zeit von Social Media müssen sich auch die Anhänger an so eine Vereinbarung gebunden fühlen.
Negative Campaigning hat die politische Landschaft verändert und inhaltliche Diskussionen weiter verdrängt. Das liegt auch daran, was auf Social Media performt. Ein gemeinsamer Fokus auf Sachthemen könnte dieser Entwicklung entgegenwirken. Eine gewisse Absicht von Funktionsträgern in diese Richtung zu arbeiten, kann man erkennen. Aber schreiten diese Funktionsträger auch ein, wenn eine Sache Momentum hat und es eigene Wählerstimmen kosten könnte? Man kann sich überlegen, ob man selbst bei einem Fehler im Bezahlvorgang darauf hinweist, dass das Rückgeld zu hoch ist? Und würde man es auch tun, wenn die Person einen letzte Woche noch hart angegriffen hat?
Wir sehen, dass wir nur selbst die Qualität der politischen Debatte zu sichern und zu fördern können. Dazu gehört, auch unser Wort erheben, wenn die Sache eigentlich in unsere Richtung läuft. Fantastisch auf den Punkt bringt das aus meiner Sicht ein Comic von erzaehlmirnix, den ich mit freundlicher Erlaubnis der Autorin Dr. Nadja Hermann hier veröffentlichen darf:
Legal Design
Legal Operations
Steuerrecht
Karsten Holexa
Ralf Hermes
Birgit Wendling
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